Vagabonding

Rolf Potts ist Weltenbummler, Autor, Lehrer, Abenteurer und durch sein 2003 erschienenes Buch “Vagabonding: An Uncommon Guide to the Art of Long-Term World Travel” (auf deutsch: Weltenbummeln – Vagabonding: Das ultimative Handbuch für Langzeitreisen durch die ganze Welt) bekannt geworden. Neben unzähligen Reisen, hat er auch ein interessantes Experiment durchgeführt: eine sechswöchige Reise ohne Gepäck

Das Buch beschreibt - in einer zeitlosen Art und Weise - wie man an Langzeitreisen herangehen sollte. Dabei wird der Leser in fünf Abschnitten von der Vorbereitung auf die Reise, dem Unterwegssein, bis zum Heimkommen auf den Reise-Prozess eingestimmt.

Die Beschreibungen sind nicht mit herkömmlichen Reiseführern zu vergleichen, sondern der Schwerpunkt liegt bei Potts mehr auf der Einstellung des Reisenden zur Reise selbst. Es wird weniger das Wie, sondern mehr das Warum geklärt. Die Prinzipien sind universell und daher nicht nur auf Langzeitreisen oder bestimmte Reiseziele anwendbar.

The world is a book, and those who do not travel read only one page.
Saint Augustine

Die meisten von uns denken, eine Langzeitreise ist nur eine Frage des Geldes. Sehr oft ist aber die Einstellung zum Reisen das größte Hindernis. Man hat das Gefühl, dass man wegen der Wohnung, der Arbeit oder seinem Besitz etc. zu sehr an den Alltag «gebunden» ist. Es gilt, sich von diesen Abhängigkeiten zu lösen.

Schon vor der Reise kann es helfen, unnötigen Besitz loszulassen, zu Vereinfachen, sodass weniger Abhängigkeiten vorhanden sind. Schließlich muss man während der Reise nur mit einem kleinen Bruchteil seiner Dinge zurechtkommen, warum also nicht schon vorher darauf hinarbeiten?

Anstatt also Geld für Besitztümer auszugeben, sollte man besser in Erlebnisse (Erfahrung) investieren. Dabei ist es wichtig, dass man sich für die Reise genügend Zeit nimmt und mit der nötigen Neugier und Offenheit an die Sache herangeht. Auf keinen Fall sollte man die Auszeit als weitere ToDo-Liste ansehen, die abgearbeitet werden muss. Bleibende Eindrücke sind wichtiger, als oberflächliche Erinnerungen.


Vereinfachung als Ausgangsbasis

Die Zeit ist der einzig wahre, kostbare Besitz, den jeder gleichermaßen vererbt bekommt. Geld ist nötig zum überleben, aber Zeit ist es, die man braucht um zu leben. Man sollte sich klar machen, was einem wichtig ist und für was man diese Zeit einsetzen möchte.

Wer auf Reisen geht, muss Abstriche machen, muss vereinfachen. Diesen Prozess kann man auch schon zuhause beginnen, denn er macht deutlich, wie unabhängig wir von unserem Besitz und den gewohnten Routinen wirklich sind (meistens packt man viel zu viel ein).

My greatest skill has been to want little.
Henry David Thoreau, Walden

Es gibt drei grundlegende Methoden das Leben zu vereinfachen (S. 33):

Die Anhäufung stoppen

Man versucht zunächst keine neuen, unnötigen Dinge anzuschaffen. Hier gilt es dem Drang zu widerstehen, immer das neueste Gadget oder Travel-Gear besitzen zu müssen. Man neigt dazu, gerade für die Reise unzählige Dinge zu kaufen, die man später gar nicht baucht und während der ganzen Reisezeit nur eine Belastung sind. Wichtig sind gutes Schuhwerk, gute Kleidung und einen praktischen Rucksack.

Routinen überdenken

Neben der Reduzierung unnötiger materieller Dinge, gilt es auch unnötige Routinen zu überdenken. Zum Beispiel kann einiges angespart werden, in dem man auf übermäßiges Auswärtsessen in Restaurants verzichtet. Das dadurch Ersparte, finanziert die Zeit für das Reisen und ist schlussendlich ein Vielfaches mehr Wert.

Gerümpel reduzieren

Hier geht es in erster Linie darum, Dinge zu reduzieren, die man schon hat (verkaufen, verschenken, …). Er ist der wichtigste Schritt für die Vorbereitung auf Langzeitreisen.

Alle drei Methoden tragen zur eigenen Unabhängigkeit bei. Sie eliminieren bekannte Hürden von Langzeitreisen wie die Abhängigkeit von materiellen Dingen oder die unflexiblen, eingefahrenen Routinen.

It is easy in the world to live after the world's opinion; it is easy in solitude to live after your own; but the great man is he who in the midst of the crowd keeps with perfect sweetness the independence of solitude.
Ralph Waldo Emerson

Die Vorbereitung

In der heutigen Zeit können Reisen bis ins letzte Detail geplant werden. Jede Information, über jeden erdenklichen Ort, inklusive Bewertungen, ist auf Klick abrufbar. Dies verführt zur Überplanung.

Das Ergebnis der Planung sollte idealerweise nur eine Liste von Optionen sein, nicht eine starre Vorgehensweise, die abgearbeitet werden muss. Ein Gerüst an dem man sich orientieren kann, das aber auch dazu einlädt, davon abzuweichen. Wer mit dem Ziel plant, alle Unsicherheiten ausschließen zu wollen, macht einen groben Fehler und vergisst, um was es eigentlich beim Reisen in erster Linie geht (S. 51).

The goal of preparation, then, is not knowing exactly where you'll go but being confident nonetheless that you'll get there. This means that your attitude will be more important than you itinerary, and that the simple willingness to improvise is more vital, in the long run, than research.
S. 51

Wo soll die Reise hingehen?

Das Reiseziel spielt eine weniger große Rolle als man denkt, denn jeder Ort kann interessant sein und zu unvorhergesehenen weiteren Abenteuern führen. Versteift man sich zu sehr auf das Ziel und verbindet noch viele Erwartungen damit, ist Enttäuschung vorprogrammiert, denn es kommt meist anders, als geplant. Oft nimmt man sich auch Zuviel vor; nach dem Motte einer ToDo-Liste: In den nächsten drei Wochen «erledige» ich Asien.

The value of your travels does not hinge on how many stamps you have in your passport when you get home.
S. 64

Ein Land langsam und mit gebührender Zeit zu bereisen ist mehr Wert, als drei Länder in Eile, oberflächlich, und ohne bleibende Eindrücke.

Alleine oder zu zweit?

Dafür gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was ihm mehr zusagt. Allein zu reisen ist sicher die größere Herausforderung, bringt aber auch die größte Flexibilität. Wer allein unterwegs ist, sucht auch eher den Kontakt mit neuen Leuten, was zu interessanten Erlebnissen führen kann, die man sonst (in einer Gruppe oder mit einem Reisepartner) vielleicht nicht erlebt hätte.

Und selbst wenn man während der Reise feststellt, dass das Alleinsein doch nicht das Wahre ist, hat man immer noch die Option, sich anderen Reisenden - für eine gewisse Zeit - anzuschließen und eine Teilstrecke gemeinsam zu bereisen.

Was soll ich mitnehmen?

Kurz gesagt: So wenig wie möglich.

Tendenziell nimmt man viel zu viel in den Urlaub mit. Man vergisst, dass man in Länder reist, in denen Menschen mit den genau gleichen Grundbedürfnissen leben. Fast alles kann vor Ort erworben werden (oft sogar billiger). Dadurch hat man nicht nur ein leichteres Gepäck, sondern erlebt als Folge auch spannende Einkaufserlebnisse in fremden Ländern, die man sonst vielleicht nicht machen würde.

Ein einfacher Trick damit nicht zu viel eingepackt wird ist die Wahl eines (sehr) kleinen Reisekoffers. Je weniger Platz zur Verfügung steht, desto ernsthafter denkt man über jedes Ding nach, das in den Koffer soll.

Unterwegs sein

Wichtig ist: Sich Zeit nehmen.

What I find is that you can do almost anything or go almost anywhere, if you're not in a hurry.
Paul Theroux

Denn auf Reisen sein heißt auch, es soll sich vom Alltag zuhause abgrenzen. Zuhause ist man es gewöhnt, nach einem mehr oder weniger straffen Zeitplan zu leben, Dinge zu erledigen und Ziele zu verfolgen. Wenn man unterwegs ist, sollte dies aber nicht mehr im Vordergrund stehen.

Sei organisiert, mach die Reise aber nicht zu einer ToDo-Liste, die abgearbeitet werden muss. Lass dich von kleinen Dingen inspirieren, sei neugierig, schau dir die Umgebung an, aber analysiere nicht. Lass die Eindrücke einfach auf dich wirken.

Rolf Potts macht hier den Vergleich zur Kindheit. So wie ein Kind seine Umgebung wahrnimmt und erkundet, so sollten auch wir uns auf einer Reise verhalten. Die einfachsten Dinge sind dann spannend und man ist neugierig und offen für Alles, was um einen herum passiert.

Man sollte sich auch immer bemühen, direkten Kontakt mit der fremden Kultur zu suchen. Dabei hilft es, wenn man die Menschen nicht als «Fremde», sondern vielmehr als «Nachbarn» betrachtet. Schließlich sind wir für sie genauso «exotisch» und «fremd» wie sie für uns. Jeden den man trifft, sollte man als globalen Nachbar ansehen (S. 117) und auch so behandeln.

Es ist von großem Vorteil, wenigstens ein paar Basisbegriffe der jeweiligen Landessprache zu beherrschen. Dies sind zum Beispiel: Hallo, Bitte, Danke, Ja, Nein, Zahlen 1 bis 10, 100 und 1000, Wieviel?, Wo ist das? Kein Problem., Hotel, Bushaltestelle, Restaurant, Toilette, Gut, Schlecht und Bier. Man sollte sich bemühen, diese Worte zu lernen. Der Wille zählt, auch wenn man nur ein Lachen erntet, beim Versuch sich verständlich zu machen.

Natürlich sind Abenteuer in der heutigen Zeit nicht mehr mit den damaligen Entdeckungsreisen in unerforschte und unentdeckte Länder zu vergleichen. Es gibt heute praktisch keinen Ort mehr, an den man als Tourist nicht reisen könnte. Fast jedes vorstellbare “Abenteuer” ist online buchbar.

Aber sind im Voraus gebuchte und bis ins letzte Detail geplante Touren Abenteuer? Für Rolf Potts liegt das Geheimnis eher in einer bestimmten Art zu Reisen. So, dass Abenteuer dich finden. Dafür muss man auf der Reise für Unvorhersehbares stets offen sein. Mit dieser Einstellung werden Abenteuer ein Teil jedes Reisetages. Möglichkeiten Abenteuer einzuladen sind zum Beispiel, wenn man vom Reiseführer abweicht, Routinen vermeidet, Seitenstraßen statt Touristentrampelpfade wählt oder einfach nur offen für Abweichungen vom Plan bleibt.

Tourist oder Reisender?

Man muss sich entscheiden, ob man als Tourist oder Reisender unterwegs sein will. Ein Reisender sieht die Dinge so wie sie wirklich sind, ein Tourist «schaut» nur oberflächlich, ohne Tiefe, wirkt nicht authentisch. Klar ist dies etwas überspitzt formuliert, dennoch wird der Unterschied zwischen Tourist und Reisender schon lange diskutiert:

The traveler sees what he sees, the tourist sees what he has come to see.
G. K. Chesterton, 1920
The traveler was active, he went strenuously in search of people, of adventure, of experience. The tourist is passive; he expects intersting things to happen to him.
Daniel Boorstin, 1961

Dieses «oberflächlich» bezieht sich aber auch auf den Grad der Achtsamkeit, mit der wir die Reise unternehmen. Viele von uns sind zwar physisch am Reiseziel angelangt, weit weg vom Zuhause, aber mit den Gedanken immer noch ganz wo anders. Am Ort sein und wirklich dort sein, ist ein Unterschied. Man denkt an Probleme zuhause, an die Vergangenheit, an die Zukunft usw., genießt aber nicht die Gegenwart am Urlaubsort.

Wenn der einzige Grund zu reisen, nicht zuhause zu sein ist, dann sind Enttäuschungen zwangläufig vorprogrammiert. Man reist nicht als Ablenkung von zuhause, sondern in erster Linie um an einem anderen Ort zu sein (nicht nur physisch).

Heimkommen

Wenn man lange Zeit auf Reisen war und dann heimkehrt, hat man meistens das Gefühl, dass sich nichts verändert hat und doch fühlt man sich anders. Man fühlt sich vielleicht sogar zu Beginn als Fremder in der gewohnten Umgebung. Man schätzt plötzlicher wieder die Dinge, auf die man lange verzichten musste, wie sein eigenes Bett, die Couch oder das Lieblingsrestaurant.

Zuhause muss die Reise aber nicht zwangsläufig enden. Man kann weiterhin über die besuchten Länder nachlesen und sich über Nachrichtensender informieren. Der Bezug ist jetzt ein ganz anderer, denn viele Bilder in den Medien kommen einem jetzt bekannt vor.

Man sollte auch versuchen, diese Neugier - die man auf Reisen automatisch entwickelt - auch zuhause anzuwenden. Zum Beispiel kann man seine Heimatstadt so erkunden, als ob man zum ersten mal auf Besuch wäre, mit derselben Achtsamkeit, Neugier und demselben Interesse für Neues. Viel zu oft vergisst man die schönsten Plätze in nächster Umgebung aus purer Gewohnheit.

If travel truly is in the journey and not the destination, if travel really is an attitude of awareness and openness to new things, then any moment can be considered travel.
S. 201

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